Die Idee zu MAUS ist nicht aus der Idee herausgeboren, belehren oder aufklären zu wollen, sondern ist eine persönliche Bewältigung. Es war für Art Spiegelman eher eine Psychotherapie, die ihm half eigene Gedanken und Gefühle zu verarbeiten. Allerdings ist er sich in letzter Konsequenz nicht sicher, ob es nur das ist, wie er zugibt.
MAUS I & II erzählt die autobiographische Geschichte
seiner Eltern, die beide im 2. Weltkrieg Auschwitz überlebt
haben. Sechs Jahre, von 1980-86, dauerte die Arbeit an MAUS
und weitere fünf Jahre an MAUS II. Art Spiegelman besuchte
regelmäßig seinen Vater, um die Erlebnisse aufzuzeichnen, recherchierte
Material und reiste sogar einige Male nach Polen. Es sind in jeder Hinsicht
sehr persönliche Bücher. Nicht nur, weil sie die Geschichte seiner
Eltern schildern, sondern auch dadurch, wie Spiegelman sie (be)schreibt.
1930 lernten sich Wladek Spiegelman und Anja Zylberg - Art Spiegelmans
Eltern - in Sosnowitz, Polen kennen und lieben. Nach der Heirat bekommt
Wladek von Anjas wohlhabenden Eltern eine Texilfabrik. 1938 wird ihr Sohn
Richieu geboren, der den Krieg nicht überlebt. Gleichzeitig beginnt
sich die Lage der Juden auch in Polen zuzuspitzen. Kurz vor Kriegsbeginn
wird Wladek eingezogen und gerät so in Kriegsgefangenschaft. Nach
der Entlassung kehrt er nach Sosnowitz zurück. Die Tragödie der
Familie Spiegelman beginnt jetzt erst. Registratur aller Juden, lebensgefährliche
Geschäfte auf dem Schwarzmarkt, überleben im Ghetto. Mit viel
Glück, Beziehungen, Geld und Wertgegenständen gelingt es Wladek
und Anja immer wieder auf der Flucht und in Verstecken zu entkommen, bis
sie schließlich 1944 von Menschenschmugglern verraten werden und
nach Auschwitz deportiert werden. Hier endet der erste Band.
Parallel zu der eigentlichen Geschichte erzählt Art Spiegelman,
wie es zu dem Buch kam - die einzelnen "Sitzungen" mit seinen Vater, um
die Schilderungen auf Band aufzuzeichnen. Dabei stilisiert er seinen Vater
nicht als Überfigur, als Helden hoch. Im Gegenteil, man erfährt
schnell, daß es erhebliche Spannungen zwischen ihm und seinen Vater
gab. Wladek Spiegelman ist geizig und rechthaberisch. Auch mit seiner zweiten
Frau Mala, ebenfalls eine Überlebende aus Auschwitz, kommt er nicht
besonders gut aus. Anja Spiegelman beging 1968 Selbstmord, kurz nachdem
Art das Elternhaus verlassen hatte. Wladeks Eigenschaften machen es seinen
Mitmenschen nicht leicht, mit ihm auszukommen. Nach Jahren der Kontaktlosigkeit
kommen sich Vater und Sohn erst durch die Arbeit an MAUS wieder
näher. Als der Vater 1982 starb, kannte er vier Kapitel. Er stand
dem Comic eher gleichgültig gegenüber, da er nicht im Lesen von
Bildgeschichten geübt war.
"Vielleicht hätte mein
Vater eine andere Einstellung dazu gehabt, wenn er die Pressereaktionen
auf MAUS noch miterlebt hätte", merkt Art Spiegelman an.
Schon
vor MAUS (dem Buch), gab es eine 3-seitige Kurzgeschichte
mit dem Titel MAUS, die 1972 im FUNNY ANIMALS erschien
und 1980 in BREAKDOWNS nachgedruckt wurde. Die Geschichte entstand
zu einer Zeit, als Art keinen Kontakt zu seinem Vater hatte, sich aber
noch genau an die Geschichten erinnerte, die sein Vater ihm als Kind oft
erzählt hatte. Erst nachdem das Comic fast vollendet war, trafen sich
beide nach Jahren wieder.
Als Art Spiegelman das Angebot bekam, eine Geschichte für FUNNY ANIMALS zu zeichnen, wollte er ursprünglich eine Geschichte über Rassismus in den USA zeichnen. Die Idee dazu kam ihm, als er einen alten Cartoon mit rassistischen Anspielungen sah, in dem Mäuse wie Schwarze und Katzen wie Weiße aussahen. Doch er war nicht vertraut genug mit der Materie, um es überzeugend hätte realisieren können. Dann kam ihm in den Sinn, die Geschichte seines Vaters aufzuzeichnen, die noch viel schrecklicher seinen.
Während der Arbeit am MAUS Kurzcomic, hatte Art die Idee,
mehr zu machen, als nur ein drei Seiten Comic. Seine Mutter hatte schon
Tagebuch über ihre Verfolgung im 3. Reich geführt und seinen
Sohn ermuntert später darüber ein Buch zu schreiben. Wladek Spiegelman
lag nie viel daran, seine Erinnerungen aufzuzeichnen, obwohl er später
mit seinen Sohn Tonbandsitzungen führte. Er hat sogar die Tagebücher
seiner Frau verbrannt! Etwas, daß Art nie verstanden und worüber
er nie richtig hinweggekommen ist.
"MAUS wäre mit Sicherheit
ein anders Buch geworden, wenn ich die Tagebücher meiner Mutter gekannt
hätte."
In dem NS-Propagandafilm "Der ewige Jude" sieht man in einer
Filmsequenz jüdische Gesichter und im Gegenschnitt fliehende Ratten
im Keller. Daran dachte Art Spiegelman ebenfalls, als er die Idee zu MAUS
hatte. Außerdem dient die Tiermetapher dazu, eine Distanz bewahren
zu können. Ähnlich, wie mit japanischen Masken. Sie sind neutral
und strahlen dennoch eine Persönlichkeit aus. Hätte man stattdessen
Menschen gezeichnet, wäre es wahrscheinlich pathetisch geworden. Wie
eine Hungerhilfe-Anzeige, die um Sympathie bettelt. Etwas, was Art Spiegelman
völlig fern lag. Außerdem hinderten ihn mangelnde Kenntnisse
daran, sich für eine authentische Darstellung zu entscheiden, ohne
dabei Verfälschungen zu riskieren. Eine abstrahierende Darstellung
läßt einen mehr Freiheiten und ist zudem besser geeignet, den
Leser zu erreichen. Dennoch gesteht er im Nachhinein, daß die Katz-
und Mausdarstellungen eine schlechte Idee waren.
"Jeder fragt mich, warum gerade
Katzen und Mäuse und kommt auf TOM UND JERRY zu sprechen. Damit
hatte ich nun gar nicht gerechnet, als ich mit MAUS begann."
Zu jeder Geschichte sucht Art Spiegelman den passenden Stil. Ein Blick in BREAKDOWS (Stroemfeld/ Roter Stern, 1980), eine Anthologie seiner Arbeiten, belegt dieses. Mit den unterschiedlichsten Techniken und Stilen, die hauptsächlich vom amerikanischen Underground geprägt sind, werden die Geschichten erzählt.
Die Stilsuche erwies sich für MAUS als besonders schwierig,
da Art schon mit dem Zeichnen begann, als er sich noch nicht schlüssig
war. Anders als sonst üblich, sind die meisten Originalseiten im Maßstab
1:1 gezeichnet. Das erhält die persönliche Note. Die Zeichnungen
bekommen dadurch einen rauhen und ungeschliffenen Touch. Genau das, was
sonst bei "herkömmlichen" Comics vermieden werden soll.
"Zuerst mochte ich meine Zeichnungen
überhaupt nicht. Aber nach zehn Jahren habe ich mich daran gewöhnt".
Graphisch ist der 2. Band "geschlossener". Es gibt keine Brüche
mehr, wie im ersten Band, weil sich Art Spiegelman über die Jahre
auf diesen "rauhen" Stil eingestellt hatte.
Schon vor MAUS gab es Versuche, den Holocaust im Comic zu verarbeiten.
Bekanntes Beispiel ist Bernhard Kriegsteins MASTER RACE aus IMPACT
No.1 (EC COMICS). Kriegsteins Geschichte übte aber keinen direkten
Einfluß auf MAUS auf, wie Spiegelman betont. Er lernte aber
von seiner Erzählweise ? wie er filmische Elemente für den Comic
adaptiert ? mehr, als daß MASTER RACE ihn inspirierte.
Durch die jahrelange Arbeit an dem Buch befand sich Art Spiegelman
im ständigen seelischen Streß. Täglich spielte er mit dem
Gedanken, die Arbeit abzubrechen. Um seinen Depressionen Ausdruck zu verleihen,
zeichnete er sich am Zeichentisch sitzend, auf der Spitze eines Hügels
von Leichen. Auch dem starken Medieninteresse fühlte er sich hilflos
ausgeliefert. Man erwartete Antworten auf Fragen, die er sich nie stellte.
Wie seine Einstellung zu Deutschland heute ist, wie er wohl israelische
Juden dargestellt hätte oder er bekam Angebote, sein Buch kommerziell
auszuschlachten. Bevor Leute das Buch kannten, gab es entsetzte Reaktionen.
Wie kann man nur ein Comic über den Holocaust machen? Hätte man
damit nicht wenigstens warten können, bis die Generation tot ist?
So in etwa waren die Kommentare auf das Projekt. Doch nachdem MAUS
publiziert wurde, gab es überwiegend positive Reaktionen von allen
Seiten. Auch von den amerikanischen Juden, die einen bedeutenden, gesellschaftlichen
Faktor in den USA darstellen. Nicht nur Art Spiegelmann, sondern auch sein
Verleger war überrascht, wie begeistert das Buch aufgenommen wurde.
Eine Deutsche Veröffentlichung ist, wie Art gesteht, für ihn
kompliziert. Er ist natürlich froh darüber, doch weiß nicht
abzuschätzen, wie Deutsche auf das Buch reagieren.
"Der Erfolg von MAUS war mir
sehr wichtig, doch verwirrte es mich auch. Bis heute weiß ich nicht,
wie ich damit umgehen soll. Einerseits bin ich glücklich darüber,
andererseits ist es auch ein Fluch."
MAUS ist und bleibt ein persönliches Buch, das Art Spiegelman mehr
für sich geschrieben hat, als daß er aufklären oder belehren
wollte. 1991 erschien MAUS II und erhielt 1992 den
Pulitzerpreis. Es knüpft direkt ans erste Buch an und beschreibt
die Zustände in Auschwitz bis zu den frühen Jahren Nachkriegsjahren
und der Emigration in die USA.
"Obwohl mich die Thematik für
immer beschäftigen wird, möchte ich nicht bis ans Lebensende
nur Katze und Mäuse zeichnen"; kommentiert Art sein Werk.
Durch MAUS wurde RAW ziemlich erfolgreich. Unter anderem
fand Art einen Verleger für sein Avantgarde-Magazin. Dennoch bleibt
RAW
unabhängig und unbeeinflußt von der Verlagspolitik.
RAW
ist ein Medium für "nicht leicht verdauliche" amerikanische und europäische
Comic Künstler, die in anderen amerikanischen Magazinen nicht oder
nur selten veröffentlicht werden. So findet man eher Comics, die von
der traditionellen Kunst beeinflußt, oder avantgardistisch-experimentell
sind, durch ihren Inhalt oder ihrer Erzählweise hervorstechen. Das
alles erfordert auch ein hohes Maß an geistiger Eigeninitiative und
Toleranz vom Leser. RAW ist alles andere als ein Buch für die
U-Bahnfahrt zur Arbeit. Das es nicht ohne Einfluß auf andere Magazine
gewesen ist, bewiesen z.B. Ausgaben wie BOXER oder FÖN-X,
die in seiner Tradition standen.
Jede Ausgabe von RAW macht eine Haufen Arbeit. Nach acht großformatigen
Ausgaben hatte Art Spiegelman das Gefühl das Gefühl schon alles
gesagt zu haben. Daher wurde ein Kleinformat gewählt, um die Sache
wiederzubeleben.
"Die meisten "Leser" sahen
sich nur die Bilder an. Durch das kleinere Paperback-Format wird mehr Aufmerksamkeit
auf den Text verwendet, weil kleinere Formate literarischer sind. Außerdem
haben die neuen RAW Bücher mehr Seiten. Als ich meinen Verleger vorschlug,
wieder das Format zu ändern, sah ich zum ersten Mal, wie jemand am
Telefon blaß wurde."
Narrativ zu bleiben und sich nicht nur graphisch auszutoben ist für
Art ein Problem. Trotzdem bevorzugt er Comic, die die Story in den Mittelpunkt
stellen. Wenn es zu abstrakt wird, läuft man Gefahr in den Kitsch
abzurutschen und die Story geht verloren .Dennoch ist Abstraktion für
Comics wichtig. Es darf aber nicht nur Bild an Bild sein. Das symbiotische
Wechselspiel zwischen Handlung und Zeichnung muß gewährleistet
bleiben.
"Die meisten Geschichten, das
gilt nicht nur für Comics", fügt er hinzu, "sind banal. Der Spaß
liegt daran, wie die Geschichte umgesetzt wurde und nicht, was diese aussagt."
Art Spiegelman nennt folgende Künstler, die ihn beeinflußt haben: Windsor McCay, George Herriman, Harold Gray, Tardi, Robert Crumb und ganz besonders Harvey Kurtzman. In vielen seiner Arbeiten lassen sich Eiflüsse der genannten Künstler nachweisen.
Außer Comics zeichnen und illustrieren lehrt Art Spiegelman an
der NY School of Visual Arts oder schreibt Artikel. Dabei hat er
ein weiteres Problem, nämlich Lehren und Verlegen strikt auseinanderzuhalten.
Wenn man sich derart intensiv mit dem Medium Comic auseinandersetzt, ist
es nicht leicht, klare Grenzen zu ziehen.
"Manchmal ist es ein wahrer
Kampf", wie er sagt.
Bevor er den Durchbruch mit MAUS schaffte und noch nicht von Comics
alleine leben konnte, arbeitete er für Topps Company Inc. und
entwarf unter anderem die Chewing Gum Cards GARBAGE DOLL KIDS, die
in den USA ein Riesenhit wurden und in Deutschland kurz nach Erscheinen
von der BPS indiziert wurden.
"Es bringt mir keinen Trost an Religion oder Politik zu glauben.
Oftmals auch nicht in Kunst. Aber ein Becher voll frischem Kaffee ist immer
großartig." - Art Spiegelman.